Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

  

Flüchtlinge, Asylbewerber, Vertriebene

Flüchtlinge sind Menschen, die angesichts einer drohenden Gefahr (z.B. Erdbeben, Hungerkatastrope, Flut) einen für sicher gehaltenden Ort zu erreichen suchen. Sie sind oder waren auf der Flucht. Das Wort wird seit dem 17. Jahrhundert gebraucht (DWDS/Pfeifer). Dieser Ort muss nicht im Ausland sein, es gibt auch Binnenflucht. In der öffentlichen Diskussion versteht man darunter auch und vor allem Menschen, die ihr Land verlassen, weil sie dort (politisch, religiös etc.) verfolgt werden oder eine Verfolgung fürchten müssen. Meist wird der Aufenthalt an einem sicheren Ort für die Zeit geplant, in der die Gefahr besteht.
Manche sprechen lieber von Geflüchteten. Allerdings ist es nicht richtig, dass Ausdrücke auf -ling im Deutschen stets negativ besetzt sind (Säugling, Schmetterling, Zwilling, Liebling – Feigling, Schwächling, Sträfling). Flüchtling markiert die Dauerhaftigkeit. Wichtiger ist, Flüchtling positiv zu besetzen. Das erfordert Mitarbeit der Medien.
Weltweit sind Millionen Menschen auf der Flucht.
Für die Genfer Flüchtlingskonvention (1951)  ist ein Flüchtling eine Person, die
"aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will."
Die Konvention regelt, welche Unterstützung und welche Rechte Flüchtlinge von den Unterzeichnerstaaten bekommen sollen. Es gibt auch Pflichten dem Gastland gegenüber  (z. B. die Gesetze zu respektieren) und Ausschlüsse von Personengruppen von diesem Status (z. B. Kriegsverbrecher). Wirtschaftsflüchtlinge und Umweltflüchtlinge sind nicht erfasst.
Art. 33 gibt dem Flüchtling ein Recht auf vorübergehenden Schutz vor Ausweisung oder Abschiebung in den Verfolgerstaat, so lange seine Ansprüche geprüft werden. Es gibt keinen Anspruch auf Asyl oder legalen Aufenthalt, nur das vorläufige Bleiberecht. Mehr war international nicht zu erreichen.

Flüchtlinge suchen Asyl, griech. aásylos bedeutet 'unverletztlich', asylía 'Unverletzbarkeit', 'Sicherheit vor Misshandlung' (Benseler, Pape). Ursprünglich handelt es sich um einen Schutzort (Gebäude, Platz etc.), der als Freistätte vor Verfolgung schützte. Oft boten Kirchen Verfolgten Schutz vor dem Zugriff der Staatsgewalt (Kirchenasyl). An einer heiligen Stätte scheute man den Zugriff, da die gläubige Bevölkerung davon aufgebracht sein konnte.
Das deutsche Asylrecht hat seine Grundlage im (allerdings in diesem Punkt in den 90er Jahren einschneidend geänderten) Grundgesetz Art. 16 a. Einschränkungen betreffen u.a. die Einreise aus einem "sicheren Drittstaat" – Was ist sicher? Und: Was sind "sichere Herkunftsländer", in die abgeschoben werden kann? Ist da jede(r) sicher? Muss man nicht JEDEN Einzelfall prüfen, um dem Grundgesetz gerecht zu werden?

Nach Artikel 16a Abs. 2 des Grundgesetzes ist ein sicherer Drittstaat einer, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet ist. Laut § 26a des Asylverfahrensgesetzes sind sichere Drittstaaten alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Norwegen und die Schweiz.

Als sicherer Herkunftsstaat gilt ein Land, in dem Menschen nicht politisch oder wegen anderer Gründe verfolgt, erniedrigend behandelt oder bestraft werden oder vor einem Krieg flüchten. Es sei denn, ein Flüchtling kann das Gegenteil beweisen, was oft nicht leicht ist. Armut ist kein Asylgrund. Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat nach Deutschland kommt, kann innerhalb von vier Wochen nach Antragstellung zurückgeschickt werden. Künftig sollen auch Kosovo, Albanien und Montenegro sichere Drittstaaten sein ... was sehr umstritten ist. Wer Armut leidet oder zu verhungern droht, hat noch keinen Asylgrund.

Das Verfahren zur Anerkennung politisch Verfolgter liegt zunächst beim Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Bei Ablehnung kann der Flüchtling abgeschoben werden, es kann aber auch aus humanitären Erwägungen heraus eine "Duldung" gewährt werden.

Das Aufenthaltsgesetz regelt die Ein- und Ausreise und den Aufenthalt von Ausländern in Deutschland. Es ist Teil des Zuwanderungsgesetzes. Mit dem Zuwanderungsgesetz (bezeichnenderweise heißt es: "Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern") wurde das Ausländerrecht in Deutschland reformiert.

Flüchtlingen wird manchmal unterstellt, sie wollten nicht arbeiten. Tatsächlich dürfen sie das nur, wenn sie eine Arbeitserlaubnis bekommen. Das gilt auch für eine Ausbildung, die viele gern machen möchten. Die Aussichten auf eine Arbeit sind schlecht, weil zunächst das Arbeitsamt nach "bevorrechtigten Arbeitnehmern" sucht. Zu bevorzugen sind Deutsche, aber auch EU-Ausländer oder anerkannte Flüchtlinge.
Erst nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland dürfen Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge ohne diese Einschränkungen arbeiten.

Links
Amnesty International
Asylverfahrensgesetz
Aufenthaltsgesetz
BAMF
NRW Flüchtlingsrat
PRO ASYL
I
nformationsverbund Asyl e.V.
Internationale Liga für Menschenrechte
Zuwanderungsgesetz
Bundesagentur für Arbeit
Flüchtlinge im Bildungssystem (Viele Hochschulen haben eigene Programme)


Literaturhinweise:
Deutsches Ausländerrecht. München: dtv (5537)
Dietz, A. (2016) Ausländer- und Asylrecht: Einführung. Stuttgart: UTB
Dreher, M. (Hg.) (2003) Das antike Asyl. Köln: Böhlau
Kloesel/Christ/Häußer (2006/5) Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Kommentar und Vorschriftensammlung. Stuttgart: Kohlhammer
Marx, R. (2016/6) Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht. Bonn: Deutscher Anwaltverlag [umfassendes, ausführl. Handbuch]
Nuscheler, Franz (2004²) Internationale Migration. Flucht und Asyl. Wiesbaden: VS Verlag
*Pro Asyl/Heinhold, H. (2015⁷) Recht für Flüchtlinge: Ein Leitfaden durch das Asyl- und Ausländerrecht für die Praxis. Karlsruhe: Loeper
Renner, G./Kanein, W.  (2005⁷) Ausländerrecht. München: Beck
Tiedemann, P. (2015) Flüchtlingsrecht: Die materiellen und verfahrensrechtlichen Grundlagen. Heidelberg: Springer
Weiße, A. (2016) Asylrecht (Schnell informiert). Stuttgart: Boorberg Verlag

Literarische Texte zu Flucht und Flüchtlingen (Bald ist Weihnachten):
Senthuran Varatharajah (2016) Vor der Zunahme der Zeichen
Bodo Kirchhoff (2016) Widerfahrnis. Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt (Deutscher Buchpreis 2016)
Jenny Erpenbeck (2015) GEHEN, GING, GEGANGEN. München: Knaus.
Merle Kröger (2015) Havarie. Hamburg: Argument Verlag
Francesca Melandri (2018) Alle, außer mir. Berlin: Wagenbach

Aus dem Hebräischen übersetzt:
Ayelet Gundar-Goshen (2016) Löwen wecken.  Zürich-Berlin: Kein & Aber

 

 

 

 

 

 

Aus der "Germania" des Tacitus:

"Geselligkeit und Gastfreundschaft pflegt kein anderes Volk eifriger. Irgendeinem Menschen, wer es auch sei, kein Obdach zu gewähren, gilt als Sünde. Nach seinem Vermögen bewirtet ein jeder. Sind die Vorräte zu Ende, so weist der bisherige Wirt seinen Gast zu einer anderen gastlichen Stätte. Sie betreten den nächsten Hof, auch ohne eingeladen zu sein. Doch macht das nichts aus; mit gleicher Herzlichkeit nimmt man sie dort auf. Zwischen einem Bekannten und einem Unbekannten macht hinsichtlich des Gastrechts keiner einen Unterschied."
Tacitus (1965), Germania. (dt. C. Woyte) Stuttgart: Reclam

[Den Hinweis auf die "Germania" verdanke ich dem empfehlenswerten Roman von Jenny Erpenbeck, (2015) GEHEN, GING, GEGANGEN. München: Knaus.]

 

Hütte

 

Geschätzt 60 Millionen Menschen sind gegenwärtig weltweit auf der Flucht

> Zum Thema Asyl, Flüchtlinge:

Bild, gemalt von einem Flüchtlingskind

"Wir dürfen nicht über die Anzahl (der Flüchtlinge) aus der Fassung geraten, sondern müssen sie vielmehr als Personen sehen, ihnen ins Gesicht schauen und versuchen, so gut wir können, auf ihre Situation zu reagieren - immer menschlich, gerecht und brüderlich. Wir müssen eine heute allgemeine Versuchung vermeiden: alles, was stört, auszuschließen."

"Wir, die Menschen dieses Kontinents, haben keine Angst vor Fremden, denn die meisten von uns sind einst selber Fremde gewesen." (SZ) Papst Franziskus, Sohn einer Einwandererfamilie.