Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

 

Rasse, Rassismus

Rasse (> frz. race ‘Geschlecht’, 'Rasse' (span- razza, portugies. razão, ital. razza); Herkunft vermutlich aus spätmittelalt. latein. ratio ‘Vernunft', 'Sippenverband', 'Gruppe (von Tieren, Früchten') oder generatio, nach Kluge 2002/6:744) evtl. aus arab. raʾs 'Kopf, Ursprung') diente anfangs nur der Gliederung in der Tierwelt, wurde dann zur Klassifikation von Menschen benutzt, die sich schließlich mit Bewertungen verband.
Rassismus bezieht sich auf die - wissenschaftlich nicht zu stützende - Behauptung der Über- oder Unterlegenheit einer Menschengruppe gegenüber anderen aufgrund von Merkmalen der Gestalt oder genetisch bedingten Merkmalen, darunter geistiger Eigenschaften. Er führte zur Ausgrenzung, räumlichen Separierung, Verfolgung und Ermordung von Menschen.
Rassen wurden nach konstanten, vererbbaren Eigenschaften unterschieden, darunter oft oberflächliche wie Hautfarbe oder Form der Nase, Gesichtstyp oder Körperbau. Eine ältere bezieht die Eigenschaften mythisch auf das Blut. Konstanz versus Variabilität sind bezogen auf solche Eigenschaften aus heutiger wissenschaftlicher Sicht, die durch die moderne Genetik bestimmt ist, problematisch. Zum einen haben wir es mit permanenten Veränderungen (evolutionäre Anpassungsleistungen an Lebensverhältnisse, Klima etc.) zu tun, zum anderen führt die Genetik zu gänzlich anderen Ergebnissen, was die genetische Verwandtschaft betrifft.
Die populationsgenetische Ansatzweise erfasst Gruppenunterschiede statistisch aufgrund von Häufigkeiten, lässt also Prognostik oder Einzeldiagnose in der Regel nicht zu. Und:
  “Im Hinblick auf fast alle beobachteten erblichen Merkmale stellen wir fest, daß die Unterschiede zwischen einzelnen Individuen bedeutsamer sind als die, die man zwischen den Rassen antrifft. Sehr selten kommt vor, was wir in bezug auf die Hautfarbe zu sehen gewohnt sind,  nämlich, daß alle Individuen der Rasse A eindeutig dunkel und alle der Rasse B hell sind.” (Cavalli-Sforza 1994: 355) Genetisch stimmen alle Menschen zu 99,8 Prozent überein.

  Der Genetiker kann heute aufgrund genetischer Variationsbreite gruppieren und - so macht es Cavalli-Sforza - die Gruppierungen mit Sprachfamilien (i.S. von Greenberg) korrelieren, was zu erstaunlichen Parallelen führt, aber sich kaum mit einer der klassischen Rassenaufteilungen deckt, die ohnehin differieren. Fragen nach der Zahl der Rassen auf der Welt oder nach der Existenz einer “jüdischen Rasse” werden so obsolet.
Cavalli-Sforzas Studien zum Zusammenhang von genetischen, sprachlichen, entwicklungsgeschichtlichen Daten für Bevölkerungsgruppen haben gezeigt , dass die genetischen Differenzen innerhalb einer menschlichen Gruppe - früher als "Rasse" kategorisiert - viel bedeutender sind als zwischen diesen Gruppen.
Auch wenn dies immer wieder mal diskutiert wird: Es gibt keinerlei Anzeichen für genetische Unterlegenheit (Inferiorität) oder Überlegenheit einer ‘Rasse’ - die Frage danach ist wissenschaftlich kaum rational zu behandeln, so dass unklar bleibt, was sinnvoll unter Rasse zu verstehen ist. Für Lévi-Strauss handelt es sich beim Rassekonzept um eine “Erbsünde der Anthropologie” (Strukturale Anthropologie 2, 363).

  Einteilungen der Menschen in Gruppen finden sich historisch in der anthropologischen Gliederung von François Bernier (1620-1688) oder in der Einteilung, die Carl von Linné vornahm (1735). Kant versucht 1775 (Von den verschiedenen Rassen der Menschen) vier Grundrassen nach der Hautfarbe (“Hochblonde”, “Kupferrote”, “Schwarze”, “Gelbe”) zu unterscheiden, in die die Menschen - alle sind von einem Stamm und einer Art - zerfallen. Viele Konzepte (Bildungen mit -art, -arten) finden sich schon hier. Vor allem die Auffassung, man könne “das Innere des Menschen aus dem Äußeren erkennen” wird später verhängnisvoll sein. (Kant schränkt sie noch stark ein). J.G. Herder lehnt eine solche Rassenlehre ab, äußert sich aber durchaus judenfeindlich. Sein Volksbegriff stützt sich auf biologische und klimatische Momente und ist von Wertungen nicht frei.

  Im 19. Jahrhundert findet sich in Kunst und Wissenschaft ein breiter Strom des Rassismus, zu nennen ist besonders der Komponist R. Wagner. Einflussreich wurde der Antisemitismus von Paul de Lagarde (Schriften für Deutschland, 1853/1933), ein protestantischer Konservativer, der fordert, “alles nicht zum Wesen der Deutschen gehörigen (...) fremden Stoffe abzustoßen” (15), der die Juden als “Trichinen” und “Bazillen” , “auf niedriger Stufe der Sittlichkeit” stehend bezeichnet. Die höherwertigen “Germanen” bräuchten Lebensraum im Osten, dessen Bewohner als “Legierung eines edleren, nur zu weichen Metalls” dienen könnten. Es entstanden pseudowissenschaftliche Texte wie der von Joseph Arthur Comte de Gobineau ("Essai sur l’ inégalité des races humaines", 1853/55) mit starkem Biologismus und der “edlen weißen Rasse der Arier”, die den “Semiten” und noch mehr den “Hamiten” überlegen sei. Auch wenn die Schrift nicht so sehr vom Judenhass gekennzeichnet ist wie etwa die von Lagarde, wird sie durch die Mystifizierung der Arier wirkungsreich. 
Ein fanatischer Antisemit war auch der (von Friedrich Engels in seinem Anti-Dühring) bekämpfte Nationalökonom Eugen Dühring (1881, Die Judenfrage als Racen-, Sitten- und Culturfrage). Er charakterisiert die Intellektuellen als “verjudet”, “Verjudung” definiert er weit:
“Die jüdische Blutmischung lässt sich aber an der Geistesbeschaffenheit mindestens ebenso erkennen, wie am Leibe oder an Abstammungsurkunden.” (67)
Besonders “verjudet” ist für ihn die Sozialdemokratie. Er ist für Menschenzüchtung und gegen Mischehen, auch sprachlich nimmt er schon die “Endlösung” vorweg - wie später auch Kaiser Wilhem II., ein überzeugter, radikaler Antisemit, der das Treiben der Nazis aus dem Exil begeistert verfolgte.  
Houston Stewart Chamberlain (Schwiegersohn Richard Wagners) versucht in seinen "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" (1899), die weltpolitische Dominanz des Germanentums zu begründen. Als “staatenbildende Rasse” könnten sie frei sein und die Geschichte bestimmen; die Vermischung mit Kelten und Slawe habe ihnen nicht geschadet. Rassereinkulturen stünden allerdings stets höher als Mischungen; immerhin sei das Judentum “rassentreu” auf der Basis von Thora und Talmud.

  Die UNESCO hat 1952 empfohlen, von "ethnic groups" zu sprechen. Was sich vielfach durchgesetzt hat, aber neue Probleme aufwirft, s. Ethnie.

"Das Deutsche Institut für Menschenrechte" will den Begriff "Rasse" aus deutschen Rechtsvorschriften streichen", berichtet 2008 die taz. Das erscheint sinnvoll, weil nun seit vielen Jahren klar ist, dass Rasse wissenschaftlich betrachtet keinen Sinn ergibt, insbesondere nicht vor dem Hintergrund der modernen Genetik. Aber: Ändert sich was dadurch? Wird nicht länger in solchen Formen kategorisiert?

> Literatur zum Rassismus

Literaturhinweise:

L. Back (ed.)(2009²) (ed.)Theories of  Race and Racism: A Reader. London: Routledge
E. Balibar (1998) Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten. Hamburg: Argument
Wolfgang Benz (2016³) Die Feinde aus dem Morgenland. Müchen: Beck
E. Cashmore (ed.) (2007) Encyclopedia of Race and Ethnic Studies. London: Taylor & Francis Ltd
L./F. Cavalli-Sforza (1994) Verschieden und doch gleich, München: Knaur
L. Cavalli-Sforza (2003) Gene, Völker und Sprachen. München: dtv
H. Cremer (2009²) „ … und welcher Rasse gehören Sie an?“ Zur Problematik des Begriffs „Rasse“ in der Gesetzgebung
F. Fanon (1986) Schwarze Haut, weiße Masken. Frankfurt: Suhrkamp
N. Foroutan et al. (Hrsg.)(2018) Das Phantom »Rasse«: Zur Geschichte und Wirkungsmacht von Rassismus. Köln: Böhlau
[Ausstellung Dresden, Hygienemusum, Katalog]
*A. Frank/L. Hoffmann (2022) Zur Pragmatik rassistischer Beleidigungen. (erscheint in: Chr. Hohenstein (Hg.) Sprache/n, Institutionen und mehrsprachige Gesellschaften. Münster: Waxmann)
I. Geiss (1993) Geschichte des Rassismus Frankfurt: Suhrkamp
*C. Geulen (2007) Geschichte des Rassismus. München: Beck
L. Hoffmann (2020) Zur Sprache des Rassismus. In: "Sprachreport" 1/2020, 40-47
W. D. Hund (2017) Wie die Deutschen weiß wurden: Kleine (Heimat)Geschichte des Rassismus. Stuttgart: Metzler
A. Menni (1980) Der Koloiosator und der Kolonisierte. Frankfurt: Syndikat
L. Poliakov u.a. (1992) Rassismus, Hamburg/Zürich: Luchterhand Literaturverlag
S. Hall (1989) Rassismus als ideologischer Diskurs. In: Das Argument 178, 913-922
L. Hoffmann (2004) Richard Wagner "Das Judentum in der Musik". Antisemitismus zwischen Kulturkampf und Vernichtung In: P. Conrady (Hg.) Faschismus in Texten und Medien. Oberhausen: Athena, 45-71
*D. Kimmich/St. Lavorano/F. Bergmann (Hg.)(2016) Was ist Rassismus? Kritische Texte. Stuttgart: Reclam
F. Kluge (2002/6) Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin: de Gruyter
Ph. Krämer/M. A. Lenz/M. Messling (Hg.)(2015) Rassedenken in der Sprach- und Textreflexion. Kommentierte Grundlagentexte des langen 19. Jajhrhunderts. München: Fink
*D. Liebscher (2021) Rasse im Recht - Recht gegen Rassismus. Berlin: Suhrkamp
P. Longerich (2006) „Davon haben wir nichts gewusst.“ Berlin: Siedler
R. Miles (2014⁴) Rassismus: Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs. Hamburg: Argument
R. Römer (1985) Sprachwissenschaft und Rassenideologie in Deutschland. München: Wilhelm Fink
D. Saunders (2012) Mythos Überfremdung. München: Blessing
J. Schoeps, J./Schlör (Hg.)(1995) Antisemitismus. München: Piper
M. Stingelin (Hg.)(2003) Biopolitik und Rassismus. Frankfurt: Suhrkamp
P. Weingart/J. Kroll/K. Bayertz (Hg.)(2006⁵) Rasse, Blut und Gene: Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Frankfurt: Suhrkamp
S. Wernsing/Chr. Geulen/K. Vogel (Hg.) (2018) Rassismus: Die Erfindung von Menschenrassen. Göttingen: Wallstein

Bibliographie Sprache und Nationalsozialismus/Rassismus
Grimms WB
Deutsches Institut für Menschenrechte
Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassen-
diskriminierung
(pdf)

RASSISMUS Die Erfindung von Menschenrassen Ausstellung Dresden, Hygienemuseum. 19. Mai 2018 - 06. Jan 2019

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unser Verkehr nach der neuesten Darstellung (Johann Michael Voltz, 1816/18, aus: Schoeps/Schlör (Hg.) (1995: 46) (Staatl. Graf. Sammlung München)

Erfahrungen eines alltäglichen Rassismus, auch Gewalterfahrungen machen Menschen mit türkischer Herkunft auch 2013 in Deutschland. Das ergab eine Studie des rbb: "Von den 1.011 Befragten über 15 Jahren gab fast jeder Vierte (23 Prozent) an, in der Öffentlichkeit wegen seines Aussehens bereits beschimpft worden zu sein." Vor allem sind es Jüngere und Gebildetere, die negative Erfahrungen gemacht haben. In jüngerer Zeit (nach dem Abklingen der Sarrazin-Debatte?) scheint es etwas besser geworden zu sein. Zitat:
"- Beschimpfungen in der Öffentlichkeit durch Deutsche wegen meines türkischen Aussehens: 23 Prozent (2012: 42 Prozent)
- Beschimpfungen wegen der Religionszugehörigkeit: 21 Prozent (15- bis 29-Jährige: 35 Prozent)
- Ablehnung einer Bewerbung um einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz wegen meines türkischen Namens oder Aussehens: jeweils 19 Prozent (Befragte mit hohem Schulabschluss: 30 Prozent)
- Körperliche Angriffe wegen meiner türkischen Abstammung: 10 Prozent (15- bis 29-Jährige: 20 Prozent)"

Spiegel Online, 21.2.2014: "der Fall, über den die Schweiz nun diskutiert, ist (...): Der Polizist legte dem Verdächtigen nicht nur Handschellen an, sondern bezeichnete ihn vor zahlreichen Schaulustigen als "Sauausländer" und "Drecksasylant". Der Mann, der 2007 auf der Uhren- und Schmuckmesse in Basel festgenommen wurde, war ein Asylbewerber aus Algerien. Aufgrund dieser Äußerungen wurde der Polizist von der Basler Justiz wegen Rassendiskriminierung schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Mann wehrte sich gegen diesen Schuldspruch. Nun hat das Schweizer Bundesgericht in Lausanne geurteilt, dass die genannten Ausdrücke nicht diskriminierend seien, sondern nur eine Beschimpfung darstellten. "Drecksnigerianer" ist erlaubt, "schwarze Sau" nicht Der Tatbestand der Rassendiskriminierung, um den es hier gehe, setze voraus, dass der Täter eine Person oder eine Gruppe "wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion" öffentlich herabsetze oder diskriminiere. Bei Äußerungen wie "schwarze Sau" oder "Saujude" sei der Bezug zu Rasse, Ethnie oder Religion ohne Weiteres gegeben. Bei "Sauausländer" oder "Drecksasylant" hingegen fehle er. Die "Neue Zürcher Zeitung" schlussfolgert: "Wer einen dunkelhäutigen Mann als 'schwarze Sau' tituliert, begeht demnach einen rassistischen Angriff, wer denselben Mann als 'Drecksnigerianer' bezeichnet, nicht." Außerdem urteilte das Gericht in Lausanne, dass Begriffe wie "Sau" oder "Dreck" im deutschen Sprachraum seit jeher häufig verwendet würden, um jemanden zu beleidigen. Sie würden daher als bloße Beschimpfung, nicht aber als Angriff auf die Menschenwürde empfunden." Allerdings: Auch in Deutschland gab es immer wieder merkwürdige Urteile, wenn Ausländer oder Migranten invoviert waren.

Rassismus?
Vergleichen Sie die Argumentation von Thilo Sarrazin mit einschlägigen Texten der letzten 120 Jahre, mit Galtons "Eugenik", mit Max Webers Überfremdungsängsten angesichts "slawischer" Migranten. Sarrazins Thesen finden Sie z.B. im ZEIT-Interview. Oder im Spiegel-Vorabdruck. Tagesschau.de hat wichtige Gegenargumente zu den gesellschaftspolitischenThesen Sarrazins, so weit über die überhaupt zu diskutieren ist, zusammengestellt.

Literatur: Klaus J. Bade (2013) Kritik und Gewalt: Sarrazin-Debatte, "Islamkritik" und Terror in der Einwanderungsgesellschaft. Schwalbach: Wochenschau-Verlag

Im Interview mit der Welt am Sonntag (29.8.10) Sarrazin über Gene:
"Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden." (Interview WamS 29.8.10)
Sarrazin hat - wohl der Brisanz halber - dazu am 30.8.2010 eine Erklärung abgegeben, die seine genetische Aussagen relativiert und kulturelle Differenzen betont - er wechselt die Variante.
"Damit ist keinerlei Werturteil verbunden, damit ist auch nichts über eine wie auch immer zu verstehende „jüdische Identität“ ausgesagt. Die Frage, was aus möglichen genetischen Übereinstimmungen von Bevölkerungsgruppen zu schließen ist, ist vollkommen offen. Entscheidend für politische und wirtschaftliche Sachverhalte, die im Zentrum meines Buches stehen, sind kulturelle Faktoren." (Sarrazin, Erklärung vom 30.8.10, FAZ.Net)
Sarrazin behauptete 2010, dass zu viele genetisch minderbegabte Migranten die deutsche Gesellschaft in ihren Zukunftschancen und ihrer Produktivität beeinträchtigten. Im Bildungsbereich liegen zu Migrantengruppen sehr differenzierte Ergebnisse vor, die zu anderen Interpretationen führen, aber auch die Statistiken zu Unternehmensgründungen etc. sprechen eine andere Sprache. Immer mehr Migranten erkennen die Bedeutung der Bildung und fördern ihre Kinder.
Die genetische Argumentation Sarrazins ist völlig haltlos.

Zur Sache...
„Wir sind nicht intelligent genug, um zu wissen, was Intelligenz ist“ (Hans Magnus Enzensberger).
Der Zusammenhang zwischen Genen und geistigen Fähigkeiten ist nur zu geringem Teil aufgeklärt. Es sind sehr viele Gene, die zusammenwirken, um die entsprechenden Gehirnstrukturen aufzubauen und große Teile des Gehirns sind beteiligt. Das geistige Potenzial brauch eine geeignete Umwelt, sich entsprechend entfalten zu können (z.B. fördernde Umgebung). Ein Intelligenzgen gibt es nicht, nicht einmal Intelligenzdefinitionen oder -messungen, die eine breite Zustimmung haben. Selbst wenn man die Intelligenz für messbar hält, kommt man zu Schätzungen des genetischen Anteils zwischen 30 bis 80 %. Die große Bedeutung der Umwelt haben viele Studien gezeigt, darunter Adoptionsstudien. Die Auffassungen von E. Stern - als aktuelle psychologische Position - finden sich hier.

Die moderne Genetik hat den Rassebegriff abgeschafft. In der Weltbevölkerung zeigen sich leicht unterschiedliche Genkonstellationen, sie haben nichts mit den alten Rassestereotypen Eigenschaften wie Hautfarbe etc.) zu tun. Man kann Gruppenverwandtschaften feststellen, Gruppen mit geteilten genetischen Eigenschaften eine spezifische Migrationsgeschichte zuweisen (oft auch nur spekulativ, s. die anhaltenden Diskussion über die Besiedelung Eurpos durch Indogermanen und die Geschichte europäischer Sprachen (vgl. zuletzt Ruth Berger, Wie kamen die idg. Sprachen nach Europa, Spektrum der Wissenschaft August 2010). Oft aber unterscheiden sich Angehörige einer Gruppe genetisch viel stärker voneinander als von Angehörigen anderer Gruppen.
Das System der Gene unterliegt im Organismus durchaus Veränderungen, wie sie die aktuelle Epigenetik beschreibt, bei denen umweltbedingt (Hunger, Vergiftung etc.) Schalter so oder so umgelegt werden können. Die Zelle kann Gene duplizieren und Umsetzen, es kann zu neuen Eigenschaften im Erbgut kommen, die eventuell über die Keimbahn auch weitergegeben werden.

Das "jüdische Gen" (Interview WamS 29.8.10) existiert nicht, es soll nach neueren Untersuchungen eine Genkonstellation geben, die eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten jüdischen Ethnie wahrscheinlich macht, bei vielen Juden lässt sich das aber nicht finden. Unter halachischem Recht gehört zum Judentum, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder zum Judentum konvertiert ist. Vor allem handelt es sich um eine Traditonsgemeinschaft, die in Teilen offenbar genetische Verwandtschaft (Herkunft aus best. Siedungsgebiet etc.) zeigt. Von "Rasse" kann hier nicht die Rede sein.

Im Fall der Basken ist lange bekannt, dass sie genetisch bedingt einen hohen Anteil an Rh-Negativen haben (Cavalli-Sforza, Verschieden und doch gleich, München 2003), im Gegensatz zu den europäischen Nachbarn, so dass man eine andere Migrationsgeschichte vermutet; da ihre Sprache sich in vielen alteuropäischen geographischen Namen findet, wird (u.a. von Theo Vennemann) angenommen, dass sie vor den indogermanischen Einwanderungen im ganzen europäischen Kernland anzutreffen waren.

Ein guter Beitrag zu Genetik und Intelligenz ist der von Diethard Tautz in der taz vom 17.3.2012.

Ein kurzer informativer Text zur Genetik ist der Zeit-Artikel "Biowissenschaft: Genetisch kommt von Goethe" von Ernst Peter Fischer.

Lesenswert zu Sarrazins statistischen Daten sind die Ergebnisse der Berliner Politologin Naika Foroutan, die ein Forschungsprojekt über "Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle" leitet.