Kleines ABC:  Migration & Mehrsprachigkeit

 

▶ Romani/Romanes, Sinti und Roma

 

 

Roma (der Ausdruck Zigeuner wird heute als rassistisch, als Ausdruck des Antiziganismus ('feindliche Einstellung gegenüber Sniti und Roma'), verstanden) bezeichnet eine Bevölkerungsgruppe, Rom bedeutet 'Mensch, Mann', femin. Form Romnja; Romani ist ein femin. Adjektiv, bezeichnet die Sprecher dieser Sprache).
In Deutschland wird meist von Sinti und Roma gesprochen. Hierzulande ansässig sind seit  etwa 700 die Sinti (Sg.mask.: sinto, Pl. sinti; femin. Form Sg. sintiza, Pl. sintize) bilden eine eigene Untergruppe (Westeuropa, Norditalien), die sich selbst so bezeichnet und eigene Lebensformen entwickelt hat.
Die Roma und Sinti sind in Migrationsbewegungen aus dem nordwestlichen Indien seit gut 500 Jahren in mehreren Phasen eingewandert und heute in mehreren Ländern Europas sesshaft, die Sinti in West-, die Roma in Osteuropa und auf dem Balkan. Es hanelt sich um geschätzt 8-12 Millionen Menschen. In Europa wurden sie oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt und diskriminiert, es gab und gibt viele Vorurteile über ihre Lebensweise und ihre Bräuche. Auch als praktisch alle sesshaft waren, wurden sie als "fahrendes Volk" bezeichnet und mit Unzuverlässigkeit, Kriminalität etc., andererseits folkloristisch ("lustig ist das Zigeunerleben") assoziiert. Viele wurden Opfer des Völkermords der Nationalsozialisten. Der Opferstatus wurde erst spät gesellschaftlich anerkannt, die Vorurteile waren in der Nachkriegszei weiter stark und sind bis heute geblieben.
Die größten Gruppen leben in Europa, besonders in Südosteuropa (Rumänien, Ungarn), Ostmitteleuropa, Südwesteuropa (Spanien) und Russland, einige auch außerhalb Europas. Von den weltweit sieben bis zehn Millionen Roma leben 1,45 bis 4,3 Millionen in Osteuropa.

Sinti und Roma gehören heute zu den vier anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland. Sie haben durch den Bund und die Länder einen besonderen Schutz und erhalten eine spezifische Förderung.

Wie jede Migration so hatten auch die Migrationen der Roma strukturelle Gründe. In jüngerer Zeit sind es gesellschaftliche Diskriminierung, Verfolgung und Armut. Ihre Lebensform zeichnet sich dadurch aus, dass das Wort der Älteren im Konfliktfall respektiert wird und spezifische Reinheitsvorschriften gelten.

Der staatlich anerkannte Zentralrat deutscher Sinti und Roma hat seinen Sitz in Heidelberg. Vorsitzender ist Romani Rose.

FAZ Interview: Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma über Armutszuwanderung und Rassismus

taz Interview mit Erich Schneeberger, Chef des bayerischen Landesverbands der Sinti und Roma

Die Sprache der Roma, das Romani oder Romanes ist eine Sprache, die zu der indoiranischen Gruppe (wie Hindi, Urdu) gehört, die sich aus dem Sanskrit entwickelt hat. Die indoiranische Gruppe gehört zur indoeuropäischen Sprachenfamilie (vgl. Haarmann 2010). Die Sprache besteht aus 9 Dialektgruppen. Das Romani hat sich aber seit über 700 Jahren unabhängig entwickelt. Es ist in Deutschland eine Minderheitensprache der Roma und Sinti. Erforscht wird diese gesprochene Sprache in Manchester und Graz.

Der Wortschatz enthält noch einige Hundert Wörter, die in die indische Zeit zurückreichen, ansonsten finden sich viele Wörtter aus den Kontaktsprachen. In die Kontaktsprachen ist wenig eingegangen, vielleicht Bokh 'Hunger' > (keinen) Bock haben (auf).

Grammatisch handelt es sich um den Typ SVO (Subjekt vor Verb vor Objekt). Die Sprache verfügt über einen bestimmten Artikel (deiktischen Ursprungs), der auch vor Namen steht: o (mask.), e, i (femin.). Romani hat zwei Genera (Maskulinum, Femininum), zwei Numeri (Singular, Plural). Das Kasussystem ist zweistufig:
(1) Nominativ – Obliquus (belebt, Akkusativ) sowie Vokativ
(2) weitere, vom Obliquus (aus alten Postpositionen) abgeleitete Kasus (Dativ, Ablativ, Instrumentalis, Genitiv). (n. Boretzky)
Die Adjektive kongruieren - im Obliquus allerdings nur in der obliquen Form.

Auch das System der Tempora erscheint zweistufig:
(1) Präsens und Prätertum
(2) abgeleitet: Imperfekt, Plusquamperfekt (z.T. existiert ein Futur). (n. Boretzky)

Romani verfügt noch nicht über einen Standardform oder Standardorthographie, obwohl es in jüngster Zeit Bemühungen um Verschriftung gegeben hat

Links:
Romaninet
Wikipedia "Roma"
Wikipedia "Sinti"

Romani-Projekt Universität Manchester
Projekt der Univ. Graz
European Academic Network on Romani Studies

Schule mehrsprachig - Sprachensteckbrief

Zentralrat und Dokumentationszentrum
Sinti-Allianz

Gipsy-Music

Literatur, linguistisch:
Boretzky, Norbert / Igla, Birgit (1994) Wörterbuch Romani-Deutsch-Englisch für den südosteuropäischen Raum: Mit einer Grammatik der Dialektvarianten. Wiesbaden: Harrassowitz
Briziç, Katharina (2007) Das geheime Leben der Sprachen. Münster: Waxmann
Haarmann, Harald (2010) Die Indoeuropäer. München: Beck
Matras, Yaron (1994) Untersuchungen zu Grammatik und Diskurs des Romanes. Dialekt der Kelderaša / Lovara. Wiesbaden: Harrassowitz
Matras, Yaron / Bakker, Peter / Kyuchukov, Hristo (eds) (1997) The typology and dialectology of Romani. Amsterdam: Benjamins
*Matras, Yaron (2002) Romani: A linguistic introduction. Cambridge: Cambridge University Press
Matras, Yaron (2010) Romani in Britain: The Afterlife of a Language. Edinburgh-Edinburgh Press
*Matras, Yaron (2014) I met locky people. London: Penguin
Matras, Yaron/Winterberg, Hans/Zimmermann, Michael (Hrsg.)(2006) Sinti, Roma, Gypsies. Berlin: Metropol
Rose, Romani (Hg.)(1995) Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma. Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Heidelberg

Weitere Literatur:
Bastian, Till (2001) Sinti und Roma im Dritten Reich. München: Beck
Bogdal, Klaus-Michael (2011) Europa erfindet die Zigeuner - Eine Geschichte von Faszination und Verachtung. Berlin: Suhrkamp [stark literaturbezogen]

Roman: Merle Kröger (2012) Grenzfall. Hamburg: Argument